Für eine wachsende Zahl von Unternehmen ist die Klimakrise eine fundamentale Herausforderung. Sie verändert nachhaltig den Blick auf die Unternehmenswelt, beeinflusst zunehmend entscheidende Erfolgskriterien bestehender wie neuer Geschäftsmodelle, macht die Anpassung bestehender Unternehmensprozesse notwendig oder gefährdet in einigen Fällen gar den gesamten Geschäftsbetrieb. Die Unternehmensstrategie muss folglich die Klimakrise berücksichtigen. Hier sind auch die Unternehmensjuristen, allen voran die General Counsels (GCs), gefragt und können wichtige Navigationshilfe leisten.
Vorbei sind die Zeiten, in denen Unternehmen ihre Augen vor diesem Thema verschließen oder mit der Formulierung vager Ziele davonkommen konnten. Die Klimakrise wird das Leben ihrer Mitarbeiter verändern, sie wird das regulatorische Umfeld verändern, in dem die Unternehmenstätigkeit ausgeübt wird und in den meisten Fällen wird es auch zu einschneidenden Veränderungen in der Unternehmensstrategie kommen.
Entsprechend ihres Stellenwertes als zentrale Herausforderung für die Unternehmensstrategie, ist die Auseinandersetzung mit der Klimakrise eine Aufgabe für die Führungsebene eines jeden Unternehmens.
„Das ist ein Vorstandsthema“, sagt Alastair Morrison, Head of Client Strategy bei Pinsent Masons. „Man kann so etwas nicht einfach an eine Abteilung auslagern. Es muss im Bewusstsein der gesamten Organisation verankert sein.“
Unternehmen erkennen immer mehr, dass das Thema von zentraler Bedeutung ist und dass es einer Antwort bedarf, die strategisches Denken, rechtliche und regulatorische Expertise sowie Hingabe für das schwierige Geschäft des kulturellen Wandels vereint. Das bedeutet, dass GCs in der idealen Position sind, hier führende Beiträge zu leisten.
Laut Morrison sind sich dessen auch viele GCs bewusst und leiten bereits Maßnahmen ein. „Eine wirklich interessante Beobachtung aus den Diskussionen, die wir mit der General-Counsel-Community führen, ist das allgemein hohe Bewusstsein und das Interesse, etwas zu bewegen. Gerade auf persönlicher Ebene ist das Bewusstsein sehr ausgeprägt – jeder kennt die Herausforderungen und Themen, mit denen wir konfrontiert sind.“
„Leitende Juristen verfügen über ein hohes Maß an Einfluss innerhalb einer Organisation und viele von ihnen sind ausgezeichnete Verfechter ihrer Anliegen“, so Morrison. „Gewappnet mit Detailkenntnis oder einer guten wissenschaftlichen Basis, gepaart mit dem Wissen, was in dem Unternehmen vorgeht, kann auf den Vorstand eingewirkt, das Bewusstsein für das Thema geschärft und Licht darauf geworfen werden, was in der Organisation unternommen werden kann.“
Das im Pariser Klimaabkommen im Dezember 2015 vereinbarte Klimaziel zielt darauf ab, den Anstieg der globalen Temperatur auf weniger als zwei Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu halten und Anstrengungen zu unternehmen, dies tatsächlich auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.
Dies mag Nichtwissenschaftlern nicht wirklich viel erscheinen, tatsächlich sind die Folgen aber dramatisch. So wurde beispielsweise die letzte Eiszeit durch einen Temperaturabfall um „nur“ 3,5 Grad Celsius ausgelöst. Veränderungen, die einem Laien klein erscheinen mögen, haben hier also massive Auswirkungen.
Gerade erleben wir die Folgen eines Anstiegs um ein Grad Celsius: Mehr Hitzewellen, verheerende Waldbrände in Australien, mehr Überschwemmungen und nur schwerlich umkehrbares Abschmelzen des arktischen Eises.
Schaffen wir es nicht, den Temperaturanstieg aufzuhalten, werden wir uns zum Ende des Jahrhunderts in manchen Teilen der Welt nicht mehr im Freien aufhalten können, Preise für Lebensmittel werden steigen, Küstenüberschwemmungen werden fünf Prozent der Bevölkerung betreffen und eine schwächere Ozeanzirkulation wird zunehmend unvorhersehbares und extremes Wetter mit sich bringen.
Vor allem die im Zusammenhang mit diesen Zielen geforderte Reduzierung von Treibhausgasemissionen bedeutet insbesondere für Länder mit hoher Industrieproduktion eine immense Herausforderung. Für Deutschland, als eines dieser Länder, kommt noch der Ausstieg aus der Atomkraft hinzu, die eine Stromerzeugung mit vergleichsweise geringen Treibhausgasemissionen ermöglicht und nun geeignet ersetzt werden muss – zusätzlich zu der besonders treibhausgasintensiven Stromproduktion mit Kohle und Gas.
Klar ist, dass gehandelt werden muss. Aber soll es an den Unternehmen liegen, den Wandel herbeizuführen?
Philippe Joubert glaubt, dass dem so ist. Nicht allein um der Gesellschaft willen, sondern im Interesse der Unternehmen selbst. Die, die sich nicht anpassen, werden schwerlich überleben und florieren können.
Joubert war stellvertretender Vorstandsvorsitzender beim Hersteller von Transport- und Energieanlagen Alstom. Er ging jedoch, um Earth On Board zu gründen und zu leiten, eine Organisation, die Unternehmen dabei hilft, die Klimakrise in ihren Strategien zu berücksichtigen.
Ihm zufolge war 2015 – das Jahr, in dem das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet und die 17 UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (bekannter unter ihrer englischen Bezeichnung, „Sustainable Development Goals" oder „SDGs") verabschiedet wurden – ein Wendepunkt. Seither können Vorstände nicht länger behaupten, sie hätten nicht gewusst, dass sie den Faktor Klima in ihren Entscheidungsprozessen berücksichtigen müssen.
„Wir müssen uns ändern, und 2015 wird mit Sicherheit als das Jahr wahrgenommen werden, in dem die Welt das erkannt hat“, so Joubert. „Die Geschäftswelt sollte nicht länger ein Problem, sondern eine Lösung sein. Die Geschäftswelt ist mit Sicherheit die Ursache von 70 oder 80 Prozent der Auswirkungen des Klimawandels, die wir erleben. Sie ist aber auch der einzige Bereich der Gesellschaft , den ich kenne, der über die Ressourcen, die Organisationmöglichkeiten und die Reaktionsfähigkeit verfügt, die uns helfen können, eine Lösung zu finden. Doch um eine echte Lösung zu bieten, sollten wir ein anderes Geschäftsmodell entwickeln; eines, das die Natur nicht als selbstverständlich und unerschöpflich ansieht.“
Laut Joubert nutzt das Geschäftsmodell der modernen Wirtschaft die Natur als frei verfügbare Ressource, und das müsse sich ändern. Künftig müssten Geschäftsmodelle mit einkalkulieren, was es den Planeten kostet, wenn Wasser und Luft genutzt und verunreinigt werden oder auch das Potenzial der natürlichen Bestäubung von Pflanzen reduziert wird.
Madeleina Loughrey-Grant ist Leiterin der Gruppe Recht und Steuern des global tätigen Bauunternehmens Laing O'Rourke. Ihr zufolge ändert sich die Stimmung in der Geschäftswelt, da Unternehmen erkennen, dass sie in der Pflicht sind, zu handeln und zu verändern.
„Ich glaube, dass sogar in den letzten zwölf oder 18 Monaten ein großer Wandel eingesetzt hat“, so Loughrey-Grant. „Wenn Leute fragen, wie es möglich ist, dies bei der Unternehmensführung auf die Agenda zu bringen, lautet die Antwort: Es ist mittlerweile tatsächlich sehr einfach. Ich denke, wenn man Leute fragt, die vor zwei oder drei Jahren versucht haben, die Sache anzupacken und auf der Agenda nach oben zu bringen, würden sie sagen, dass es eine größere Herausforderung war. Auf Vorstands- und Geschäftsführungsebene hat nun in sämtlichen Industriebereichen eine Transformation hin zu einer neuen Einstellung eingesetzt. Das Thema wird nun als signifikantes Geschäftsrisiko wahrgenommen. Eine Chance, ja, aber auch ein signifikantes Geschäftsrisiko, dem man begegnen muss.“
Für all jene Unternehmen, deren Führung sich wohlmöglich noch immer nicht ändern will, wird aller Wahrscheinlichkeit nach das Recht einen Anstoß geben. Unternehmen treffen in ihren Entscheidungsprozessen auf juristische Herausforderungen, die sich an den Klimafolgen orientieren.
So bringt beispielsweise die Stadt New York Energieunternehmen wegen der Kosten, die im Umgang mit der Erderwärmung entstehen, vor Gericht und entscheidet ein Berufungsgericht in Großbritannien, dass das Vorgehen der Regierung, das eine dritte Start- und Landebahn am Flughafen Heathrow gestattet hätte, nicht rechtmäßig sei, weil die Regierung es versäumte, die Zugeständnisse des Landes gemäß des Pariser Klimaabkommens zu berücksichtigen. Und in Deutschland ist ein Berufungsverfahren über die Klage eines peruanischen Landwirts gegen einen führenden Stromerzeuger anhängig, mit der erreicht werden soll, dass sich das Unternehmen an den Kosten für Schutzmaßnahmen gegen das Überlaufen eines Gletschersees beteiligt, da es durch den Betrieb von Kohlekraftwerken die Gletscherschmelze mitverursacht habe. Das Berufungsgericht hat die Schlüssigkeit der Klage (inzident) bestätigt und in einem vielbeachteten Beschluss zudem bekräftigt, dass eine Haftung des Energieunternehmens nicht bereits deshalb ausscheiden könne, weil die von seinen Anlagen ausgehende Treibhausgasemission nur Folge eines rechtmäßigen Handelns sei.
Laut Loughrey-Grant senden diese und andere Fälle ein klares Signal an Unternehmen und Regierungen, dass sich etwas ändern muss. „Die Folge dieser und anderer Urteile, wird sein, dass Regierungen insgesamt zunehmend unter Druck gesetzt werden. Eine Entscheidung wie die zum weiteren Ausbau in Heathrow wird beachtliche Auswirkungen auf zukünftige Infrastrukturprojekte haben“, so Loughrey-Grant. „In den Niederlanden traf Ende letzten Jahres der Oberste Gerichtshof eine Entscheidung, die die Regierung praktisch dazu anwies, ihre Bemühungen bei der Verringerung der CO2-Emission zu beschleunigen. Das Gericht fällte sein Urteil auf Basis vor allem der UN-Klimakonvention, aber auch der Pflichten, die in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgehalten sind. Letztlich stellte es also fest, dass die Regierung die Menschenrechte verletzte, indem sie nicht schnell genug reagiert. Diese Entscheidungen sollten nicht isoliert betrachtet werden. Ich denke, es wird in Zukunft vergleichbare Entscheidungen überall auf der Welt geben.“
Diese rechtlichen Herausforderungen werden Konsequenzen für Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder mit sich ziehen, da sie versuchen werden, sowohl Risiken für das Unternehmen zu vermeiden als auch Gefahren für ihre eigene Position abzuwenden.
Joubert zufolge kann seit 2015 niemand mehr behaupten, man wäre sich nicht über die Gefahren für das Klima und die Verantwortung im Klaren gewesen. Jeder, der seine Pflichten gegenüber seinem Unternehmen mit der gebotenen Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit ausführen wolle, müsse das Klima in seine Entscheidungen mit einbeziehen.
„Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit bedeuten zwar nicht, dass man ein Spezialist für alles sein muss, aber man muss seine Hausaufgaben machen“, so Joubert. „Man muss die Augen offen halten für die Risiken und Chancen und man muss dem Management eine Richtung vorgeben. Ich persönlich vertrete die Auffassung, dass 2015 als das Jahr gewaltigen Wandels wahrgenommen werden wird, wenn es um die Pflichten des Vorstands in Bezug auf diesen Aspekt geht. Wegen des Pariser Klimaabkommens kann niemand mehr sagen, man hätte von nichts gewusst.“
„In meinen Augen haben sich damit das Risiko und die Verantwortung der Geschäftsleitung fundamental verändert. 2015 ist wohlmöglich das Jahr, in dem Klima-Skeptiker zu sein nicht länger einen sicheren Hafen für Vorstände und Geschäftsführer bietet; tatsächlich sollten diese Führungspersonen jetzt sogar noch weiter gehen und sehr klare Vorstellungen davon entwickeln, wo die Risiken liegen und was sie tun, wie ihre Strategie aussehen muss, um die Risiken zu mindern, die Interessen des Unternehmens zu schützen und es auf sichere Beine für Wachstum zu stellen“, so Joubert.
Leitende Unternehmensjuristen sind jetzt vor allem auch bei Einführung neuer Geschäftsmodelle und Maßnahmen im Zuge der Transformation hin zu einer klimaneutralen oder sogar besonders klimafördernden Unternehmenstätigkeit gefragt. Es geht darum, „das Richtige richtig zu tun“, sagt Christian Lütkehaus, Leiter der deutschen Finance & Projects Praxisgruppe und Co-Head des Energiesektors bei Pinsent Masons in Deutschland sowie aktiver Unterstützer der kanzleiweiten Initiative zur Begrenzung des Klimawandels und für Nachhaltigkeit. „Neue rechtliche Risiken müssen vermieden werden – und sie lauern in zahlreichen Rechtsgebieten; außerdem muss der Einfluss bestehender und neuer rechtlicher Rahmenbedingungen auf die Wirtschaftlichkeit der angestrebten Geschäftsmodelle untersucht werden, gerade in besonders regulierten Industriebereichen, wie beispielsweise dem Energiesektor“, führt Lütkehaus fort.
Weltweit werden Regierungen sehr viel aufwenden müssen, um ihre Wirtschaft dabei zu unterstützen, die Corona-Krise zu überwinden. Sie werden wahrscheinlich direkt und über Kredite in bedeutende Projekte investieren, um sicherzustellen, dass es neue Arbeit für viele Menschen gibt, die ihren bisherigen Arbeitsplatz verlieren werden.
Dieser wirtschaftliche Anreiz biete eine Gelegenheit, so Morrison – eine Chance, eine grüne Infrastruktur zu schaffen, deren Aufbau sonst wohlmöglich viel länger gedauert hätte.
„Ich denke, wir sollten in der juristischen Gemeinschaft mehr Bewusstsein dafür schaffen, welche Art von Möglichkeiten es gibt, um weitere saubere Quellen der Energiegewinnung anzustoßen und Geld und Arbeit dort hineinzustecken, während wir versuchen, die Krise zu überwinden“, so Morrison. „Regierungen können eine enorme Veränderung in Bezug auf den Klimawandel herbeiführen – und das ist die größte Veränderung. Daher denke ich, wir können diese Gelegenheit nun nutzen und zusehen, wie uns der Wandel gelingt.“